„artificial room 1.0“

Julia Schäfer und Johannes Schmidt
 
Im „Walbauch“ der Ruhrakademie wurde die mehrdimensionale Abschlussarbeit von Julia Schäfer und Johannes Schmidt vorgestellt. Der folgende Film gibt einen kurzen Einblick.
 
Studienarbeit Ruhrakademie 


Studienarbeit Schäfer und Schmidt

 

„artificial room 1.0“ – wie authentisch ist das unverstellt Perfekte, wie vollkommen ist das virtuell Echte? Julia Schäfer und Johannes Schmidt gehen auf Expedition in einem künstlichen Raum.
 
Die Mystiker des Automatenzeitalters streben nach einer anderen Perfektion als ein weltlich entrückter Meister. Wer in einer der zahllosen Varianten des physischen oder geistigen „Moonwalk“ in der Tiefe des eigenen Seins versinkt, gleitet gedanklich entkörpert in die private Schwerelosigkeit und transferiert sich durch die Abkehr von der Sinnenwelt an einen geheimnisvollen Nicht-Ort, der selbst für Abenteurer der Luxusklasse unzugänglich bleibt. Dort besitzt das Visum für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis einzig seine Gültigkeit, solange der Reisende zum Nicht-Ort an seiner Vervollkommnung arbeitet.
 
»Perfektion muss das Ziel sein«
 
»Don’t Stop ’Til You Get Enough«, (»Gib’ nicht auf, bevor du nicht perfekt bist«), kiekste Michael Jackson den tanzbar, funkigen Erkenntnissatz, der trotz seiner vordergründigen Performance-Glätte von wahrhaftiger Tiefe zeugt. »Perfektion muss das Ziel sein. Sonst verrate ich Kunst und Publikum«, tendiert das Credo des Generalmusikdirektors der Bayrischen Staatsoper, Ken Nagano, in die gleiche Richtung. Lance Armstrongs »Jump« im legendären Tour-de-France-Bergduell gegen Jan Ullrich 2003 auf der 15. Etappe nach Luz Ardiden, um einen weiteres popkulturelles Ereignis ins Spiel zu bringen, besitzt die gleiche Strahlkraft an Perfektion – nur auf einem anderen Übungsgebiet.
 
Studienarbeit Kunst
Jede dieser nach dem privaten Zufallsgenerator gewählten Personen gehört wie andere außergewöhnliche Menschen einem von der Allgemeinheit entfernten Club auf dem Olymp an. Deren Vorstellung von Perfektion hypnotisieren und polarisieren das Publikum wegen ihrer Kälte, der Klarheit und schwerelosen Leichtigkeit der jeweiligen Vortragskunst. Im realen Leben verkörpern diese Personen einen anderen Sinngehalt der strapazierten Modebegriffe wie Authentizität, Wirklichkeit, von inneren Zweifeln angetriebener Entschlossenheit, Qualität, Wahrhaftigkeit, Perfektion, Begierde; Schlagworte, die von den Verdauungsapparaten der pöbelnden Massenkultur x-mal ausgeschieden worden sind.
 
»Das Medium ist die Botschaft«
 
Die Aufregung um die heißgelaufene Diskussion, ob die Wirklichkeit subjektiv ist, gehört zu den vehement vorgetragenen Erklärungsversuchen und verbissen geführten Abwehrschlachten. Streitpunkt ist die Deutungshoheit auf dem Feldherrenhügel der Wirklichkeiten. Die Verteidiger alteuropäischer Denkkategorien erkennen in der Virtualität von Privatfernsehen und Netz eine geistige Verwahrlosung und kulturelle Verflachung, wohingegen Befürworter der Medienkultur die »Fähigkeit zur Vervollkommnung eröffnet sehen. Vollendung ist als ästhetisches Kriterium ebenso veraltet wie Echtheit.« (Norbert Bolz)
 
Studienarbeit virtuell
In den Worten von Marshall McLuhan aus den 1960ern klingt das so: »Alle Medien sind geschaffen, um unseren Leben künstliche Wahrnehmungen und willkürlich festgelegte Werte zu geben … Doch der ganze Konservatismus der Welt kann der ökologischen Flut der neuen elektrischen Medien nicht einmal symbolisch Widerstand leisten.«
 
Das Betriebsgeheimnis einer sich allmählich die alteuropäische Identität abstreifenden Kultur wird von den Mystikern der Science- Fiction-Literatur fortgeschrieben. In seinem Kultroman »Newromancer« von 1984 erzählt William Gibson die surreale Geschichte abenteuersüchtiger Cyberpunks mit implantierter Elektronik und diverser Drogen im Schädel, die sich im Fluchtort Cyberspace von der langweilig gewordenen Wirklichkeit entkoppeln.
 
Foto Studienarbeit
Gibsons Romane, McLuhans medientheoretische Schriften werden ebenso wie die Arbeiten anderer Vordenker des Automatenzeitalters wie Stanislaw Lem, Isaac Asimow oder Ron Hubbard als Bibelverse einer neuen Religion gelesen. Beim Aufsagen von McLuhans Mantra: »Das Medium ist die Botschaft«, wird allerdings gerne der Aussagekern übersehen, dass, wie Bolz McLuhan zitiert, »der Inhalt eines Mediums immer ein anderes Medium ist«.
 
Wie weit das Missverständnis im Umgang mit der neuen Denkweise der Computerkultur geht, zeigt das Rätsel um den elektronischen Mönch L. Ron Hubbard, der in seinem »Vorleben« als Science-Fiction-Autor tätig war, bevor auf der Grundlage seines Buches »Dianetics. The Modern Science of Mental Health« die »Church of Scientology« aus der Taufe hob mit dem Ziel: zu perfekten Übermenschen gereinigte Scientologen sollen die Weltherrschaft übernehmen.
 
»artificial room 1.0«
 
Die sukzessive Demontage des alteuropäischen Wertegerüst führt bei der Auseinandersetzung mit den »magischen Kanälen« zum Entzug von Bodenhaftung. Wie reagieren junge Künstler auf die vom Wächterrat angezeigte »Agonie des Realen«? Welchen Stellenwert haben tradierte Gewissheiten, wenn sie beim Datentransfer durch den virtuellen Raum an Gültigkeit verlieren? Wie kann die Arbeitsteilung der Sinne zwischen richtig und falsch unterscheiden, wenn sich im Realmodell die Fata Morgana als echte Wirklichkeit spiegelt?
 
Studienarbeit artificial room
Fotos: Saskia Kaiser

Julia Schäfer (26) und Johannes Schmidt (31) versuchen sich mit ihrem Diplomprojekt »artificial room 1.0« an den Schnittstellen von realem und virtuellem Raum zu verorten. Dazu bauen sie ein »Pentagon«, einen auf fünfeckigem Grundriss errichteten Ausstellungsraum, in dem sie mittels Malerei, 3D-Animation und Beamer-Projektionen ein interaktives Verwirrspiel der Wahrnehmung vollziehen.